Die SZ-Artikel von Herrn Rienth vom 27.10.  „Showdown im Grafinger VHS-Förderverein“ und insbesondere der vom 6.11. „Mitglieder sammeln Unterschriften gegen ihren Vorsitzenden“ (frei), transportieren Zerrbilder, Halb- und Unwahrheiten, die offenbar eine eindrucksvolle Stimmungskulisse für die anberaumte außerordentlichen Mitgliederversammlung (aMV) schaffen soll, der ich hiermit inhaltlich entgegentreten möchte.

Es werden eine ganze Reihe von Vorwürfen genannt, die meine Amtsenthebung rechtfertigen sollen.  Im Lichte der folgenden Betrachtung halten sie einer Überprüfung nicht stand, weder auf Stimmigkeit der Aussagen, noch auf Stichhaltigkeit der Begründung, noch auf Verhältnismäßigkeit der geforderten Konsequenz.

Wichtig ist aber auch den Gesamtkontext zu verstehen, einiges ist nicht allgemein bekannt oder in Vergessenheit geraten und bedarf der Erklärung.

Gliederung:

    1. Hintergrund:  Verhältnis FöV – Zweckverband – Volkshochschule
    2. Unterschiedliche Einschätzungen (Auslöser und Strukturfrage)
    3. Darf der FöV satzungsgemäß Veranstaltungen unternehmen?  (Satzungsfrage)
    4. Vorwurfserwiderung spezifisch zur Amtsführung [separiert]
    5. Resümee:  ein gehaltvoller Beitrag zur politischen Bildung – bitte lesen

Punkte 1..3,5 behandelt generell die Vereinsausrichtung.   Punkt 4 wurde ausgekoppelt und ist nur relevant in Bezug auf strittige Amtsführungsvorwürfe.
Weitere Reaktionen auf die kontroverse Veranstaltung finden Sie hier.

Hintergrund:  Verhältnis FöV VHS – Zweckverband – Volkshochschule

Der Förderverein VHS Grafing ist das 1972 in die juristische Form gemeinnütziger e.V. geronnene bürgerschaftliche Engagement  zur Gestaltung von interessanten Bildungsangeboten. (Die Volkshochschule wurde ganz wesentlich im Hause Walter geschaffen, was einen besondere Bindung zum Erbe der Eltern darstellt). Der FöV war in den ersten sechs Semestern der Träger der VHS und übergab die Trägerschaft 1976 dem neugegründetem kommunalen „Zweckverband Volkshochschule Ebersberg Grafing Kirchseeon”. Der FöV wurde darin – neben den drei Gemeinden – Mitglied mit 1/3 Stimmgewicht im Verband – und übernimmt die nachhaltige Rolle der bürgerlichen Mitgestaltung der VHS.
Markt-Schwaben kam als fünftes Mitglied hinzu, heute trägt der Verband den Namen „Zweckverband kommunale Bildung” (ZV), siehe Präambel deren Satzung und Rede zu 50 jährigen FöV VHS Jubiläum.

Anders als etwa der Förderverein eines Fußball-Clubs, ist der FöV kein steuer-optimierender Anhangsverein (mit Kaffee und Kuchenverkauf – wie in der SZ 6.11. verglichen) sondern hat die konstitutive Aufgabe der bürgerlichen Mitgestaltung der VHS zwecks Förderung der Volksbildung.   Durch die zunehmende Professionalisierung der VHS und der großen Zufriedenheit mit deren Leitung ist die Rolle der aktiven Mitgestaltung stark in den Hintergrund getreten und bei vielen vergessen worden.  Das Gremium “Programmbeirat” wurde schwierig zu besetzten, erschien unnötig und wurde aus der ZV-Satzung entfernt.  Dennoch blieb die Verantwortlichkeit bestehen (wenn auch etwas zahnlos).

Wem diese Rollen nicht klar sind, mag die fehlende Unterordnung des FöV unter die Entscheidungen der VHS-Leitung irrtümlich beklagen.  §14.2 besagt: “Für die pädagogische Gestaltung der Volkshochschularbeit trägt die Leitung der Volkshochschule […] die Verantwortung gegenüber der Verbandsversammlung”, also auch gegenüber deren Mitglied FöV – und nicht umgekehrt.

Damit ist der FöV VHS nicht nur berechtigt konstruktive Kritik an der VHS Leitung üben, vielmehr ist dies einer seiner ursprünglichen Aufgaben.

 

Unterschiedliche Einschätzungen (Auslöser und Strukturfrage)

Zu den satzungsgemäßen Aufgaben des 1. Vorsitzenden des FöV gehört die Beratung der VHS Leitung in Sachen Programmgestaltung und Referentenauswahl.  Meine Vorschlags-Annahmequote von wunderbaren 100% fiel in 2020 auf 0%, sämtliche Vorschläge wurden seitdem (mehrfach) wiederholt beiseite geschoben. Der doppelte Leitungswechsel des Fachbereichs “Gesellschaft“  führte nicht die erhoffte Besserung herbei.
Die erzielbare Diskussions- und vorgefundene Sachstandstiefe wird im SZ-Artikel vom 8.10 von Frau Mooser widergespiegelt und ist für die Leitung einer Volks-Hochschule ebenso unbefriedigend, wie für einen Rundfunkrat.

Hier muss betont werden, dass der Großteil der VHS-Arbeit sehr zufriedenstellend ist und sich die Dissonanz nur auf einen Teilbereich der politischer Bildungsarbeit beschränkt.
Wir stehen keiner lokalen oder persönlichen Problematik, sondern einer systematischen Störung von demokratischen Strukturen gegenüber. Hinter den Kulissen wird offen von drohenden “Imageschäden” gesprochen, die sich zu Einbußen bei Förderzuwendungen entwickeln und eine ökonomische Bedrohungslage werden könnten.  Die naheliegende ökonomische Optimierung führt zur effektiven „Lenkung von oben”, zum Einklinken in die große “Konsensmaschine” und Beiseiteschieben von unerwünschten Standpunkten.  Dies steht im Widerspruch zur ursprünglichen Konstruktion “Lenkung von innen – aus der Bürgerschaft”.

Seit Corona sind diese Lenkungsmechanismen stark ausgebaut und unverblümter geworden. “Cancel-Culture” beschreibt diesen hier wirksamen Mechanismen.
Das Dilemma ist real, die freigesetzten Kräfte leicht zu unterschätzen.  Demokratische bürgerliche Mitgestaltung verlangt nach einer ergebnisoffenen Diskussion.

Hieraus ergibt sich die Frage, wie ein Verein, der der Pflege der Volksbildung verpflichtet ist, mit dieser fundamentalen Herausforderungen umzugehen hat.

Darf der FöV satzungsgemäß Veranstaltungen unternehmen?

Die Satzung besagt in

  • §2.1: “Der Förderverein bezweckt die Pflege der Volksbildung und die ideelle sowie materielle Förderung der außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung bei der Zweckverbands-VHS Ebersberg-Grafing-Kirchseeon-Markt Schwaben. Seine Arbeit hat überparteilich und überkonfessionell zu erfolgen. „
  • §2.2: „Die Mittel zur Erreichung des Vereinszweckes sind: a) Beratung des Leiters der VHS in Fragen des Arbeitsplanes, der Programmgestaltung und der Auswahl der Dozenten … d) materielle Förderung der Ziele der VHS …“

Nicht nur fördert der FöV seit Jahrzehnten die Musikschule materiell und ideell, sondern hat von Beginn an selbst Veranstaltungen ausgerichtet.  Soweit die Liste der Mittel zur Erreichung des Vereinszwecks aus §2.2 abschließend formuliert worden sein sollte, steht die gewohnheitsrechtliche Auslegung von §2.2 der Satzung durch den Verein einer engen Deutung entgegen.
Damit dürfen freilich bereits heute, wie auch in Zukunft, Veranstaltungen des FöV VHS selbstständig ausgerichtet werden.

 

Vorwurfserwiderung zur Amtsführung: Langfassung

Hier nur die Kurzfassung, die detaillierte Argumentation findet sich hier .

  • Handelt der 1. Vorsitzende satzungswidrig im „Alleingang“ und „auf eigene Faust“?  […] Vorstandsbeschluss mit 7 von 7 Stimmen für den „Testballon“. […] Der Vorwurf er handelte im „Alleingang“ und „auf eigene Faust” ist daher eine völlig irreführende und falsche Tatsachenbehauptung.
  • Nicht gemäß dem einstimmigen Vorstandsbeschluss? Der Vorwurf, die Organisation sei nicht vereinbarungsgemäß erfolgt, muß überraschen. Nach mehr als drei Wochen Stilschweigen des erweiterten Vorstands […]
    Im übrigen impliziert dieser Einwand das Eingeständnis der mittlerweile bestrittenen ordnungsgemäßen Beschlussfassung. […]
    Damit wich der 2. Vorsitzende massiv vom gültigen Vorstandsbeschluss ab.
  • War die Einladung zur außerordentlichen Mitgliederversammlung (aMV) unzulässig? […] Die Behauptung die Einladung sei grob satzungswidrig erfolgt, trifft daher nicht auf die am 22.10. versandte zu – allerdings auf die dann erfolgte, ersetzende Einladung von Silvan Rüegg vom 24.10., da er als 2. Vorsitzender im Innenverhältnis nicht handlungsbefugt ist. […] Der mehrfachen Bitte nach Beantwortung von 10 konkreten Fragen […], blieb unbeantwortet. […]  Teil des erweiterten Vorstand erweist sich inzwischen als dysfunktional […] .

 

Resümee:  ein gehaltvoller Beitrag zur politischen Bildung

Der Vortrag “Medien und Macht” vom Lehrstuhlinhaber Prof Meyen von der renommierten LMU war sachlich präzise, tadellos und gemeinsam mit der ausführlichen (mehr als einstündigen) Diskussion eine sehr interessante Veranstaltung, die reichlich Gesprächs- und Denkfutter geliefert hat.

Der Kern unsere freiheitlich demokratische Grundordnung beinhaltet die Meinungsfreiheit (§5 GG) als eine der wichtigsten Voraussetzungen der Funktionsfähigkeit der Demokratie und der politischen Gemeinschaft überhaupt.  Dem Denken des großen Aufklärers Voltaire wird der Satz zugesprochen:

„Ich missbillige, was Sie sagen, aber ich werde Ihr Recht  es zu sagen, bis zum Tod verteidigen.“

Ob der Inhalt nun persönlich gefällt, spielt keine Rolle.  Entscheidend ist, dass hier eine valide Stimme zu Wort kommt, die nachvollziehbar und horizonterweiternd ist und im Meinungsspektrum („öffentliches Bewusstsein“) eventuell unterrepräsentiert oder sogar abwesend ist.
Der Beitrag muss ein Gewinn für die Ausgewogenheit des Meinungsspektrums sein und den Diskurs befördern, denn

der ausgetragene Dissens hält eine Demokratie zusammen, nicht der Scheinkonsens.

Die Macht der Medien liegt u.a. im Erschaffen von „wahrgenommenen Realitäten”, dazu gehört auch die Markierung als “umstritten”, die beeindruckend starke Ablehn-Impule aktivieren kann – ohne deren sachliche Begründung wirklich zu überprüfen.

Wenn eine gezielte Prüfung eines Beitrag ihn als wertvoll begründet, sollte Platz sein für ein ausgewogenes  Bildungsangebot für mündige Bürger.  Mündig im Sinne von erwachsen genug, um selbstständig und unbetreut zu entscheiden, ob sie oder er einen Vortrag besuchen will oder nicht.

In der Praxis ist eine Vorfilterung natürlich unumgänglich – aber die Durchlässigkeit dieses Filters muss überprüfbar, transparent diskutier- und nachjustierbar sein.   Das ist auch ein Qualitätsmaß für die Demokratie und der Konstruktion der bürgerlichen Mitgestaltung der kommunalen Bildung.
Der Satzungszweck verlangt in der Pflege der Volksbildung die Beachtung demokratischer Standards.

Dr. Jörg Walter
Förderverein VHS Grafing e.V., 1. Vorsitzender